Sonja Anne Blüml / 04. 05. 2016

Das fressende Haus

0. Comments

Siegfried von Vegesack

 

2015_11_19_vegesack

Noch lebt er in den Lesebüchern.
Weniger in Prosatexten, eher durch seine Gedichte:

Siegfried von Vegesack, der aus Livland stammende Dichter, der den Großteil seines Lebens aber im Bayerischen Wald, in Weißenstein bei Regen, verbrachte.
In den Buchhandlungen ist er kaum mehr zu finden.

Dabei sind seine Romane wie „Das fressende Haus“ immer noch spannend und mitreißend zu lesen. Mit starkem autobiographischen Bezug schildert er darin seinen Don Quichotte-ähnlichen Kampf um das Windrad, das ihm Strom für seinen Wohnturm liefern sollte.

Das fressende Haus

Im Jahr 1918 erwirbt der Dichter Siegfried von Vegesack den Getreide-Kasten der Burgruine Weißenstein und bezieht ihn gemeinsam mit seiner damaligen Frau, der Schriftstellerin Clara Nordström. Er sagt, das sei seine unvernünftigste Entscheidung gewesen. Und dass die verrückten Entscheidungen immer die richtigen seien.

Museum-im-Fressenden-Haus-1_front_large

Von Vegesack gibt dem Gebäude bald den neuen Namen „das fressende Haus“, da die Kosten für die Instandsetzung und -haltung des ehemaligen Getreidespeichers seine Erwartungen offenbar bei weitem übertreffen. 1932 publiziert von Vegesack auch einen Roman mit dem Titel Das fressende Haus, der vom Leben im Kasten erzählt.

125867517

„Wie einfallsreich und gefühlvoll die platte Simplizität des Lebens und des Sterbens geschildert wird, das ist ein Genuss für den, der Sprache zu genießen weiß.


„Als der Mittagszug an der kleinen Station hielt, stieg ein fremder Herr, ohne Hut, einen braunen Überzieher auf dem linken Arm, ein Lederköfferchen in der rechten Hand, aus dem Wagen. Nun stand er da, groß, breitschultrig, mit zerzausten Haaren und sah sich unschlüssig um.“ Der Mann ist versehentlich in den falschen Zug gestiegen, erfährt man, und will nun mit dem nächsten Zug zurückfahren. Er fährt auch zurück, doch davor liegen viele Jahre beziehungsweise 333 Seiten. Denn der Mann mit dem sonderbaren Namen Kai Torklus sieht sich zunächst einmal in dem Dörfchen um, in das es ihn verschlagen hat. Er verpasst einen Zug nach dem anderen und übernachtet in der Fremde, obwohl er als Fremder so misstrauisch beäugt wird, wie er staunend die enge Welt der kleinen Leute betrachtet. Er entpuppt sich als ein Mann von baltischem Kleinadel, der seine Heimat und sogar seine Staatsangehörigkeit verloren hat.

Siegfried von Vegesack: Das fressende Haus, Roman, erstmals erschienen Berlin 1932, 4. Auflage 2005 im Morsak-Verlag Grafenau, gebunden 336 Seiten, 16,80 Euro, ISBN 3-86512-009-1

 


Es ist tatsächlich eine Freude, Vegesack zu lesen. Ein weiterer kleiner Auszug als Empfehlung, sich diesen Dichter einmal genauer anzusehen. In einem Brief an seine Tochter wirbt er darum, dass sie doch mal auf einen Besuch im „fressenden Haus“ vorbeischauen soll…

125867517

„Hier gibt es schließlich auch einiges Schöne zu sehen, was es auf Capri nicht gibt: Dreck, Nebel, Regen. Die Straße ist aufgeweicht, und wenn man ins Haus tritt, klebt der Kot so hoch an den Stiefeln, dass man auf Stelzen zu gehen glaubt.

Und das Speisezimmer ist eiskalt und rauchig, und die Rohre werden gekehrt, und der Russ fliegt in schwarzen Wolken durch die Luft, der Tee ist gefroren, man muß die Kruste mit dem Löffel durchschlagen, und das Wasser in der Waschschüssel ist gefroren, und die Zahnbürste hat Raureif, und die Handtücher sind wie aus Blech, und von der Decke rieselt der Kalk, manchmal fliegen einem auch angefaulte Asseln und klebrige Herbstfliegen auf den Kopf, auch Spinnen, und es zieht durch das ganze Haus, weil die Türen nicht zugehen oder kaputt sind, und auch die Fensterscheiben sind kaputt, und die Fensterstöcke angefault, und der Fußboden bricht überall ein, man bleibt mit dem Fuß zwischen den Brettern stecken, und wenn man im Dunkeln hinaufgeht, knallt man mit dem Knie gegen den Treppenabsatz, und wenn man anknipst, brennt das Licht nicht, weil es ausgeschaltet ist, und wenn es eingeschaltet ist, geht die Sicherung durch, und wenn die Sicherung durch ist, dann wird so lange herumprobiert, bis es Kurzschluss gibt und überhaupt keine Lampe brennt, und dann sitzt man im Dunkeln.“

Siegfried von Vegesack aus ‚Briefe Siegfried von Vegesack 1914-1971‘, Morsak Verlag, 1988

 

Leave a Reply

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>